Bingo!

Bingo! Blöde Fragen und Vorurteile mit Antworten

Dies hier ist eine Liste, die ich anlässlich des Lörracher Christopher Street Days (CSD) zusammengestellt habe. Der Ton ist absichtlich frech bis konfrontativ – bei Bedarf bitte anpassen.

 

Du findest eben keine_n./ Du bist offenbar unfähig, eine_n Partner_in zu finden. (Impliziert: du bist zu hässlich/seltsam/andere negative Eigenschaft.)

Du bist doch gar nicht so hässlich.

Wie heißt es so schön: wer sucht, der findet. Wer nicht sucht, kann nicht finden. Meine relative Fähigkeit, mir jemanden anzulachen, ist vollkommen irrelevant, wenn ich mir gar keine_n anlachen will.

 

Hast du schon mal nach deinen Hormonen schauen lassen?

Erstens: Ich wage zu behaupten, dass im Durchschnitt die Asexuellen eine höhere Quote für Hormonchecks haben dürften als die Gesamtbevölkerung. Asexualität ist häufig ein Eliminationsprozess – wenn mensch alle anderen Ursachen ausgeschlossen hat, bleibt einem_r nichts mehr anderes übrig.

Zweitens mangelt es nicht allen Asexuellen an einer Lidido, die das einzige wäre, das mensch mit Hormonen, also Testosteron, „behandeln“ könnte. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die Muskelmänner, die in der Apotheke Viagra ohne Rezept kaufen wollen…

 

Du hast eben noch nicht d_i_en Richtige_n gefunden. (Mit der Option: Versuch doch mal mich.)

Erstens: Wie lange muss ich denn warten, um auszuschließen, dass es keine_n Richtige_n gibt? Und warum klingt deine Antwort so, als sei mein Leben wertlos, bis ich diese eine hypothetische Person gefunden habe?

Zweitens: Ich suche nicht, also kann ich auch nicht finden.

Drittens, lieber Heterosexueller, hast du offensichtlich noch nicht di_e_n Richtige_n gefunden, di_e_r dich bi macht?

 

Woher weißt du, dass du es nicht willst, wenn du es nie ausprobiert hast?

Woher wusstest du, dass du Sex willst, bevor du ihn ausprobiert hattest? Woher weißt du, dass du keinen Sex mit Männern bzw. Frauen willst, wenn du es noch nie ausprobiert hast?

 

Du hattest eben noch nicht die richtige Sorte Sex.

Das setzt voraus, dass ich irgendeine Sorte Sex wollte … Die deutsche Definition sagt „kein Interesse an sexueller Interaktion“, und die meisten Menschen wissen, ob ein grundlegendes Interesse besteht – oder eben nicht.

 

Du hast Angst vor einer engen (Liebes-)Beziehung.

Die zahlreichen romantischen asexuellen Singles werden hier empört nach Luft schnappen.

Es gibt übrigens genug „beziehungsunfähige“ *Sexuelle, die regelmäßig One Night Stands haben. (Das sind vielleicht solche Leute, die sich fragen, was mit ihnen los ist und keine Ahnung haben, dass das Wort aromantisch existiert.) Sex ist nicht Liebe.

 

Du bist (als Kind) missbraucht worden.

Ui. Böse, ganz böse. Jemandem, di_e_r tatsächlich schlechte Erfahrungen gemacht hat, mit so einer unsensiblen Diagnose zu kommen, ist unhöflich und kann in Extremfällen bei Traumatisierten zu Flashbacks führen. Also: in Zukunft drüber nachdenken, bevor ich jemanden zwinge, sich an schlechte Erfahrungen zu erinnern.

Außerdem ist es ziemlich frech, jemandem zu unterstellen, dass si_e_r wegen eines Traumas siere Identität nicht richtig kennt oder siere Gefühle nicht beurteilen kann.

 

Du bist schwul/lesbisch und hast nur Angst, es zuzugeben.

Ähh, ja. Genau deswegen haben wir einen Stand auf einem CSD… /Sarkasmus Ende

 

Ach, hast du gerade eine schlechte Beziehung hinter dir?

Nein. Es gibt übrigens Hinweise im AVEN-Forum, dass zahlreiche Beziehungen von Asexuellen schlecht laufen, weil sie asexuell sind, sich aber nicht richtig einordnen können, weil sie das Wort nicht kennen.

Abgesehen davon sind viele AVENisti entweder aufgrund ihrer aromantischen Neigungen oder aus Mangel an passenden Partner_inne_n Dauersingles. Von „gerade“ was hinter sich haben kann also keine Rede sein.

 

Hast du schlechte Erfahrungen gemacht?

Ich bin die schlechte Erfahrung von anderen Leuten, Schätzchen.

Scherz beiseite: Antwort siehe oben.

 

Masturbierst du?

(Ziel dieser Frage: zu „beweisen“, dass das interviewte As gar nicht asexuell ist.)

Erstens: Fragst du das jede_n, di_e_r hier einen Stand betreut?

Zweitens: Nicht repräsentative Umfragen auf AVEN haben ergeben, dass Asexuelle im Schnitt etwas seltener masturbieren als die Gesamtbevölkerung.

Drittens: Die deutsche Definition ist „kein Interesse an sexueller Interaktion“. Masturbieren ist keine Interaktion. Beweisführung somit fehlgeschlagen.

 

Hattest du schon mal Sex?

(Ziel: wie oben.)

Fragst du das jede_n, di_e_r sich als nicht heterosexuell outet? Ich erzähle hier von Vorlieben, von dem, was ich fühle, nicht von dem, was ich tue. Einen Schwulen, der dem gesellschaftlichen Druck erlegen ist, eine Frau geheiratet und vielleicht sogar ein Kind gezeugt hat, meckerst du doch auch nicht an, dass er gar nicht schwul sein kann.

 

Das ist bloß eine Phase.

Grün gefärbte Haare mit dreizehn sind vielleicht eine Phase, können aber auch der Beginn einer wunderbaren Laufbahn als Punk sein.

Hinweis: Derartig herablassende Kommentare sind auch gegenüber Dreizehnjährigen nicht angebracht. Kein verständnisvoller Mensch wird einem Dreizehnjährigen, der sich als schwul outet, unterstellen, dass es eine Phase ist. In der Regel darf eine_r davon ausgehen, dass di_e_r sich outende Mensch vorher nachgedacht hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass es eben keine Phase ist.

 

 

Das ist irgendwie traurig. Du verpasst das schönste, was es im Leben gibt.

Zugegeben, wenn mir jemand erzählt, dass si_e_r mit Musik nichts anfangen kann, geht es mir ähnlich. Ich bin mir aber auch im Klaren darüber, dass „Heilungsversuche“ in diesem Fall zum Scheitern verurteilt sind. Meine Wahrnehmung der Welt ist anders als deine, jede_r mag eine andere Sorten Kuchen, oder auch gar keinen.

 

Du hast eine Depression.

Tatsächlich kann eine Depression die Libido senken oder ganz verschwinden lassen. Allerdings ist nur ein Teil der Asexuellen tatsächlich ohne Libido. Und tja, wie gesagt, eine Depression verändert die Libido. Wenn meine Libido schon immer bei null war, dann ist es vollkommen gleichgültig, ob ich gerade eine Depression habe oder nicht.

 

Das ist doch so ein religiöses Ding.

Du glaubst, dass du dadurch rein bleibst.

Glaubst du, dass Sex böse ist?

Wollt ihr uns den Sex verbieten?

Nein. Wir wollen einfach in Frieden keinen Sex haben können.

Du hast Angst, dass ich mich für was besseres halte, weil ich meinen animalischen Trieben nicht folge? Die Sorge kann ich verstehen. Immerhin ist die heterosexuelle Neigung, irgendwem vorschreiben zu wollen, was si_e_r im Bett anstellt, der Grund für jeden CSD.

Nun ist es so, dass wir mit unserer „Weigerung“, den horizontalen Tango zu tanzen, genauso anecken wie du mit deinen Vorlieben. Sicher ist dir aufgefallen, dass ein Nonnen- oder Mönchsdasein in unserer Nach-68er-Gesellschaft nicht mehr so anerkannt wie im Mittelalter.

Fazit: Wir hoffen, dass irgendwann die Vorsilbe vor dem „sexuell“ als Kategorie nicht mehr relevant ist und auf Coming-Outs verzichtet werden kann.

 

Warum hasst du Sex?

Tue ich nicht. Ich interessiere mich aber bloß für die Theorie, deswegen sind schmutzige Witze und Erfahrungsberichte in geselliger Runde für mich eher langweilig bis unangenehm. Das Gespräch könnte schließlich auf mein Liebesleben kommen, und je nach Zusammensetzung der Runde können dann ausweichende Antworten fällig sein.

 

Und was ist mit anderen Asexuellen?

Die meisten wollen gern einfach mit dem Thema in Frieden gelassen werden. Ein paar werden sich über nackte Körper in Werbung und dergleichen aufregen, weil sie dadurch immer an das erinnert werden, was sie laut vorherrschender Meinung fühlen sollten. Taucht Sex in den Medien auf, wird ihnen unterstellt, dass sie irgendwie kaputt sein müssen, wenn sie es nicht gut oder spannend finden. Kein schönes Gefühl.

 

Asexualität ist nicht natürlich.

Das ist genau das, was der Katholizismus über gleichgeschlechtliche Beziehungen sagt.

Fakt: Homosexuelles Verhalten ist bei mehreren hundert Tierarten beschrieben worden, asexuelles Verhalten mindestens bei Mäusen und Schafen. Da Tieren jegliche moralische Wertung ihres Sexualverhaltens fehlt, ist Asexualität wohl doch natürlich.

 

Aber alle Menschen sind sexuelle Wesen. Jeder hat eine Sexualität.

Ich habe nicht gesagt, dass ich keine Sexualität habe, ich sage, dass ich niemanden begehre. Das ist ein Unterschied.

 

Du kannst niemanden lieben, ohne Sex mit siem zu haben.

Aber andersrum geht, also Sex ohne Liebe? Du solltest dich schon entscheiden. Und dann vermutlich deine Eltern, Geschwister, Haustiere und Kinder vorwarnen.

 

Was machst du dann den ganzen Tag?

Ähnliche Sachen wie du auch, gemessen daran, wie oft die Durchschnittsbevölkerung Sex hat. (Also, ich habe zweimal wöchentlich eine halbe Stunde mehr Zeit für so Dinge wie lesen, den Abwasch machen, aufräumen, schreiben, Serien gucken oder sonstwas. Wahnsinn.)

 

Bist du irgendwie geistig oder körperlich behindert? Dann bist du deswegen asexuell.

Die meisten geistig oder körperlich Behinderten würden dir für so eine Frage zumindest im übertragenen Sinne in den Hintern treten. Nur weil du die Vorstellung irgendwie eklig findest, heißt das noch lange nicht, dass abstinente Behinderte gern abstinent sind.

Sicherlich gibt es geistig und körperlich Behinderte, die asexuell sind, genauso wie es solche gibt, die es nicht sind. Zwischen dem einen und dem anderen gibt es keinen ursächlichen Zusammenhang.

 

Das ist doch eine Form von Autismus.

Du bist autistisch, und hast nur keine Diagnose.

Dankeschön, dass du mich jetzt diagnostiziert hast! Wie viele Autisten kennst du eigentlich? Bist du Neurologe?

Der Prozentsatz an AVENisti mit Autismus ist relativ gering, und sicherlich wenig höher als der der Gesamtbevölkerung. Es gibt einige hoch funktionierende Autist_inn_en, die asexuell sind und darüber schreiben, aber der Großteil nicht neurotypischer Menschen hat irgendeine andere sexuelle Orientierung, auch wenn du nicht gerne über so was nachdenkst.

 

Du unterdrückst deine Sexualität. Du solltest eine Therapie machen.

Zahlreiche Asexuelle haben sehr, sehr schlechte Erfahrungen mit Therapeut_inn_en gemacht. Eben weil diese Therapeut_inn_en von einem ähnlichem Sachverhalt ausgehen wie du. Tatsache ist, dass ich keine Neigungen unterdrücken kann, die nicht vorhanden sind.

 

Du bist bloß gehemmt/schüchtern/introvertiert.

Hmm. Weißt du, ich bin tatsächlich introvertiert. Ich frage mich allerdings, warum ich dann nicht online bei friendscout24 oder den Absoluten Beginnern rumhänge und auf diese Weise eine_n Partner_in suche, anstatt mich deinen Fragen auszusetzen.

 

Asexualität ist das gleiche wie Enthaltsamkeit.

Ist es nicht. Enthaltsamkeit ist ein Verhalten: Ich habe keinen Sex, aus egal welchen Gründen.

Asexualität ist eine sexuelle Orientierung: Ich begehre niemanden.

Viele Asexuelle sind enthaltsam, aber nicht alle, genau, wie nicht alle katholischen Priester asexuell sind.

 

Asexuelle können keinen Orgasmus haben.

Äh… doch, schon. Üblicherweise funktioniert unsere Ausstattung hervorragend, selbst, wenn sie nicht benutzt wird.

 

Asexuelle haben keine Ahnung von Sex und sind naiv.

Hmm. Es gibt sicherlich solche, die kein Interesse daran haben, sich über Dinge weiterzubilden, die sie sowieso nicht brauchen, andererseits ist eine ganze Menge Asse unterwegs, die ein intensives theoretische Interesse am menschlichen Paarungsverhalten zeigen, gerade, weil sie es nicht verstehen.

 

Heißt Asexualität, dass dir irgendwelche Teile fehlen?

Nö. Danke der Nachfrage.

 

Wir wird man asexuell?

Ähnlich, wie man schwul wird. Warum findest du es nicht raus und sagst und bescheid, wenn du die Antwort kennst.

 

Du willst bloß was besonderes sein/auffallen.

Ja… und der richtige Weg dafür ist, mich bei einem CSD an einen Stand zu stellen und impertinente Fragen zu meinem Privatleben zu beantworten. Wenn ich was richtig besonderes sein wollte, würde ich mich bei DSDS bewerben und ein „Asexuals party hardest“-Shirt tragen.

Abgesehen davon will ich tatsächlich auffallen – wenn keiner kräht, sind wir in fünfzig Jahren immer noch an der gleichen Stelle und beantworten respektlose Fragen.

22 Gedanken zu “Bingo!”

  1. Vielen Dank für diese Zusammenstellung! Ist hilfreich und amüsant zugleich =)

  2. tschellufjek sagte:

    Großartig!!! Konnte mir ein lautes Lachen nicht verkneifen, als ich dies hier las:

    „Du kannst niemanden lieben, ohne Sex mit siem zu haben.

    Aber andersrum geht, also Sex ohne Liebe? Du solltest dich schon entscheiden. Und dann vermutlich deine Eltern, Geschwister, Haustiere und Kinder vorwarnen.“

    Nachdem ich diesen einen Kommentar auf thestar.com (http://www.thestar.com/news/gta/2014/06/27/when_sex_just_isnt_your_cup_of_tea_mallick.html) gelesen habe, würde ich zu der Liste von blöden Vorurteilen noch hinzufügen:

    Du hast ja ein solch einfaches und sorgenfreies Leben! (Zitat aus dem Artikel: Nobody’s life is easy but the asexual life sounds easier than most)

    • Carmilla DeWinter sagte:

      Hm, irgendwie scheinen manche Leute zu glauben, das sie ohne Sex weniger Probleme hätten.
      Anyway, ich habe keine Ahnung, was ich von dem verlinkten Artikel halten soll. Gewinnt das Bingo, und hat trotzdem ein paar halbwegs sinnvolle Gedanken zwischendrin.

  3. Gute, schlagfertige Antworten.
    Wenn’s nicht so traurig wäre, könnte man schon fast drüber lachen.

    • Carmilla DeWinter sagte:

      Danke. Und ja, dafür, dass das in Internetzeitaltern schon eine sehr alte Sammlung ist, ist sie immer noch ziemlich aktuell.

  4. Ich mach mal ein bisschen Werbung fuer meine Bullshit-Bingo-Card:
    https://yhaupenthal.org/1435247181.htm 😉
    Verlinkt sind dort auch noch ein paar andere deutsch- und englischsprachige Bingos, auch zum Thema Aromantik.

  5. Wunderbares Bingo!
    Ich finde es einfach nur traurig, dass es wirklich Leute gibt, die uns noch für krank, Aliens etc. halten.
    Man sollte meinen mittlerweile wäre es besser, ist es aber leider nicht. Das Bingo trifft heute einfach noch immer zu, obwohl es jetzt schon älter ist. Sowohl zum Thema die Gesellschaft entwickelt sich stetig und wird toleranter.

    • Carmilla DeWinter sagte:

      Ja, gut Ding will Weile haben. Es ist in meiner Blase seit Erstellung eindeutig besser geworden, aber noch ist viel zu tun.

Hinterlasse einen Kommentar