So, als ich über „A History of Celibacy“ nachdachte, habe ich ja schon erwähnt, dass, wenn das Christentum dauerhaft Keuschheit einfordert, diese nicht nur rein praktisch zu verstehen ist, sondern auch mental. Neben echter sexueller Interaktion sind also auch masturbieren und Fantasien haben verboten.
Alle Fleischeslust ist Sünde, und je mehr sich der Mensch davon entsagt, desto näher ist er dem Paradies.
Dieses Ideal von Keuschheit hängt uns Asexuellen nach. Immerhin klingen die Nonlibidoisten unter uns (für Fachfremde: jene, die keinen Trieb verspüren und daher in der Regel auch nicht masturbieren) so ungefähr wie das Paradebeispiel für keusch. Jemand, der das erste Mal von uns hört, und diese Vorstellung von Reinheit bewusst oder unbewusst verinnerlicht hat, kann schon mal zu dem Schluss gelangen, dass wir uns für was besseres halten.
Sicher gibt’s solche Asexuelle, die gegen Sex in den Medien wettern und gegen Leute, die „immer nur das eine wollen“. Sciatrix hat das irgendwo mal als Detox-Phase bezeichnet. Wenn man jahrelang darunter gelitten hat, als krank angesehen zu werden, ist es verständlich, dass man sich erst mal Luft machen muss. Dass da auch mal Worte wie „niedere Triebe“ und derlei fallen, ist verständlich, und meines Erachtens in Ordnung.
Blöd wird es immer dann, wenn eine solche Meinung als Meinung aller verkauft wird, oder man bei einer unreflektierten „Ich bin besser als du“-Haltung bleibt.
Dass diese vermutete innere Haltung zu Schwierigkeiten führen kann, beweist die nun schon einige Monate andauernde englischsprachige Tumblr-Schlammschlacht. Neben anderen Unerfreulichkeiten wurde Asexuellen allgemein und den Demisexuellen im Besonderen vorgeworfen, slut-shaming zu sein.
Für slut-shaming gibt’s noch keinen deutschen Ausdruck, und mir ist noch keiner eingefallen. Kurz gefasst geht es darum, dass Frauen, die sich aufreizend kleiden, und generell nicht so verhalten, wie es der ultrareligiöse Moralkodex für Unverheiratete vorsieht, allesamt Schlampen sind. Kleinen und großen Mädchen wird eingeschärft, sich nicht wie eine Schlampe/Nutte zu verhalten. Schlampesein ist schlecht, und wer wie eine Schlampe aussieht, darf sich nicht wundern, wie eine behandelt zu werden. Etc pp. Dirrekt da mit rein spielt das victim-blaming (also dem Opfer die Schuld an einer Vergewaltigung zuschieben).
Und augenscheinlich ist für manche Schlampen-BefreierInnen ein weibliches As durch seine bloße Existenz und (unterstellte) Unterwerfung unter den ungeschriebenen Verhaltenskodex für Frauen ein Affront.
Ich gehe davon aus, dass auch die deutschsprachige Community sich auf derlei Vorwürfe einstellen muss, sobald wir eine gewisse kritische Masse überschritten haben.
Unsereins wird vermutlich noch sehr lange darauf hinweisen müssen, dass manche von uns Pornos schauen/lesen, sich sexy kleiden, erotische Geschichten schreiben, und dass die Meinung einer einzelnen Person niemals die einer Gesamtheit wiederspiegeln kann.
Eine Instantlösung gibt’s da wohl nicht. Höchstens, dass man sich mal an die eigene Nase fasst und überlegt, wie man manche Worte verwendet, und wie man über stark geschminkte, tief ausgeschnittene Wonderbra-Trägerinnen redet.