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Apotheken Umschau, Öffentlichkeitsarbeit, mein Ace-Sprech gehört mir
So. Heute ist der Artikel online gegangen, den ich letzte Woche kurz erwähnt habe, und ich bin um eine Erfahrung reicher.
Und muss mich mal ein bisschen echauffieren.
(Alle Zitate aus dem Artikel.)
Der Autor suchte via AVEN jemanden, den er am Telefon ausquetschen konnte. Ich hatte mich dafür gemeldet, auch weil ich weiß, dass die Apotheken Umschau bevorzugt fundierte Informationen bringt und Übergewichtigen und sonstigen ‚Betroffenen‘ nicht mit der manchen Nachrichtenmagazinen eigenen Überheblichkeit begegnet.
Das Gespräch dauerte etwa zwanzig Minuten, war nett – man konnte richtig hören, wie unwohl sich mein Interviewer mit so intimen Fragen gelegentlich fühlte, was ich irgendwie süß fand – und ich bin ehrlich beeindruckt, was er aus meinen ungrammatischen Wurm-Schachtelsätzen an Information herausfiltern konnte.
Die Fragen waren sicherlich das in diesem Zusammenhang Übliche – wann ich gemerkt habe, was mit mir anders ist; ob mir was fehlt; wie das Umfeld reagiert; was ich über gemischte Partnerschaften weiß, und warum ich ‚ace‘ sage.
Viel davon hat es leider nicht in den Artikel geschafft.
Tatsächlich hätte ich das schon ahnen müssen, als sich die Veröffentlichung verzögerte, weil erst noch ein Sexualwissenschaftler aufgetrieben werden musste, mit dem ich mir dann den Artikel ‚geteilt‘ habe.
Und, tja.
Der Sexualpsychologe Dr. Christoph Joseph Ahlers sieht den Begriff Asexualität kritisch. „Er führt in die Irre, da er Sexualität auf den Geschlechtsverkehr reduziert“
So. Hmm. Häh?
Da ist einer in die Falle getappt.
Jemand, der sich als asexuell bezeichnet, bezieht sich dabei auf AVEN’s „empfindet keine sexuelle Anziehung“ oder AVENde’s „kein Interesse an sexueller Interaktion“. Je nach Gusto und Landessprache.
Sicherlich gibt es Nonlibidoisten, die sich als „völlig ohne Sexualität“ verstehen, aber ich unterstelle einfach mal, dass die Mehrzahl der AVENisti das nicht tut.
Asexualität ist ein Spektrum. Mein Glockenkurvenkommentar steht zwar leider nicht im Artikel, aber ein bisschen was schimmert hier durch:
Dabei gibt es kein Normalmaß an Lustempfinden. Die Libido ist bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt:
Wobei aber bei Nicht-Asexuellen offenbar Unverständnis herrscht, warum wir dafür überhaupt ein Wort brauchen. Und dann noch der nette Hinweis, dass es ja durchaus noch andere Gründe geben könnte, warum man keinen Sex möchte.
Ängstlichkeit, frustrierende oder unerfüllte sexuelle Erfahrungen, im Extremfall auch Missbrauch.
Ach, nee.
Weil wir alle uns ja sofort auf den Begriff stürzen, sobald wir ihn kennen. Wir haben uns vorher sicherlich keine Gedanken über unseren Hormonstatus, eventuell verdrängte Traumata oder Bindungsangst gemacht.
Am Ende ist es doch ein Unterschied, ob ich Angst vor etwas habe, oder einfach nur kein Interesse daran.
(Ich bekomme zum Beispiel von Horrorfilmen keine Albträume, aber ich sehe sie mir trotzdem selten an, weil ich sie einfach flach und bedeutungslos finde.)
Ich unterstelle außerdem, dass die echt Ängstlichen bei uns gar nicht landen, sondern sich zu den Absoluten Beginnern gesellen oder einen hoffentlich hilfreichen Therapeuten aufsuchen.
Am Ende der Suche sind wir also immer noch Freaks, die mit Vorwürfen seitens des Partners oder der Familie zu kämpfen haben. Wir glauben, mit unseren Empfindungen allein auf der Welt zu sein. Man kann sehr einsam sein als Ace.
Um also jemanden zu finden, der Ähnliches mitmacht, jemanden, mit dem man sich austauschen kann, bedarf es, verdammt noch mal, eines Wortes. Egal, wie ungelenk oder unpassend es beim ersten Hören für Außenstehende klingt.
Die Definition dessen, was wir meinen, steht bei AVEN auf der Startseite und bei Wikipedia. Manchmal streiten wir uns über diese Definition, auch nach zehn Jahren Forum, aber wer mitreden will, möge sich zuerst damit auseinandergesetzt haben und seine eigenen Erfahrungen dazu beitragen können.
Wir brauchen niemanden, der uns unsere Wörter erklärt.
Fazit:
1. Schriftlich kann ich mich viel besser ausdrücken und komme besser auf den Punkt.
2. Ich muss mich vorher genauer erkundigen, was für so einen Artikel geplant ist – so von hinterum verdächtigt zu werden, mit mir selbst nicht ehrlich zu sein, ist nicht die feine englische Art. Ich bin ein Fangirl, natürlich habe ich einen an der Waffel, aber eben nicht so. Ich kenne die meisten meiner Macken. Vielen Dank.
3. Maul aufreißen. Nicht aufgeben. Es gibt noch viel zu tun.
Hm, durch den Sexualpsychologen bekommt der ganze Artikel tatsächlich eine ziemlich negative Richtung. Es wird versucht, Asexualität (nach unserer Definition) als kleines Problemchen darzustellen, dass mit etwas Kompromissbereitschaft schnell behoben werden kann:
Zitat:
„Hat ein Asexueller einen Partner, der selbst nicht asexuell ist, setzt das auf beiden Seiten gegenseitiges Verständnis und Kompromissbereitschaft voraus. Andernfalls sind Konflikte vorprogrammiert, wie in anderen Beziehungen, in denen einer der Beteiligten mehr Sex möchte als der andere.“
Denn eigentlich ist es ja gar nichts besonderes und nicht der Rede Wert:
Zitat:
„Dabei gibt es kein Normalmaß an Lustempfinden. Die Libido ist bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt: Der eine möchte am liebsten zweimal täglich, dem anderen reicht einmal pro Woche. Geringes bis gar kein Interesse an sexueller Interaktion ist deshalb durchaus normal und nichts ungewöhnliches.“
Soweit die Theorie. Zwischen häufiger und weniger häufiger Sex haben zu wollen, oder gar keinen Sex haben zu wollen, ist es in der Realität ein bedeutender Unterschied. Da wird das fehlende Interesse an sexueller Interaktion über kurz oder lang fast immer mit dem Ende der Beziehung mit einem sexuellen Partner enden.
Aus biologischer/medizinischer Sicht ist die Aussage, dass es immer individuell verschieden stark ausgeprägt und deshalb nicht ungewöhnlich ist, sicher korrekt. Aber aus gesellschaftlicher Sicht macht das einen gewaltigen Unterschied. Es ist eben nicht „normal“ für den durchschnittlichen Heterosexuellen, ähnlich wie Homosexualität und Co.
Zugegeben, der Begriff Asexualität lädt dazu ein, missverstanden zu werden. Aber eine besser passende Selbstbezeichnung gibt es nicht, wie zum Beispiel schwul und lesbisch bei Homosexuellen. Vielleicht setzt sich ja das, auch von dir verwendete, „Ace“ durch 😉
Hmm, das ist wichtig, danke. Sehr gute Punkte, die ich gestern glatt übersehen habe, vielleicht auch, weil ich selber deswegen noch nie was zu leiden hatte. Und daher wahscheinlich auch im Interview nicht aussagekräftig genug war. Das nächste Mal muss ich da wohl nur definitive Aussagen treffen, anstatt auch die wenigen positiven Beispiele zu bringen.
Meine Aufregung rührte vielleicht auch von einem zweiten Gespräch vom Wochenende her, in dem mir die Notwendigkeit, meine sexuelle Devianz zu benamsen, ebenfalls beinahe abgesprochen wurde. Jemand, der noch nie im Leben deshalb ein Wort gebraucht hat, scheint absolut nicht zu begreifen, was für eine Erleichterung so ein Etikett darstellt.
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