Schlagwörter
Ars moriendi, Asexualität, Lebensenden, Philosophisches, Vorurteile
Nun ist November. Hallowe’en ist rum, dito Allerheiligen und Allerseelen. Heute ist Volkstrauertag, Buß- und Bettag sowie Totensonntag folgen in kurzen Abständen.
Schon seit geraumer Zeit wälze ich Gedanken über das Sterben und meine eigene begrenzte Zeit. Mehr als mein gezähltes Alter haben die Pensionierung meiner Mutter und ein paar Todesfälle im Beruf dazu beigetragen, bei denen es Leute unter fünfzig erwischt hat. Nebenher bin ich asexuell, und eins, was einem Ass ganz gern bei einer/m Outing angedroht wird, ist, dass mensch einsam sterben wird.
Nun mag ich einen vollkommen anderen Eindruck haben als andere, aber selbst dier beste Sterbebegleiter_in kann einer/m nicht in den letzten dunklen Tunnel folgen. Sofern mensch für diese letzten Momente tatsächlich wach ist, muss sier mit der Angst alleine klarkommen und hat, hoffentlich, sienen Frieden gemacht.
Das ist gar nicht so einfach. Viele Leute bedauern Dinge, die sie getan, und noch häufiger Dinge, die sich nicht getan haben.
Aber vielleicht ist dieser Einwand gegen die Asexualität gar nicht so wörtlich gemeint, und es geht eher darum, einsam zu altern.
Es klingt jetzt böse, aber auch viele Menschen mit Kindern und Ehegespons sind im Alter einsam. Solche Leute sehe ich jeden Tag.
Menschen, vor allem Frauen, denen dier Partner_in weggestorben ist, und die sich, sicher in ihrer Ehe, nie groß die Mühe gemacht haben, Freundschaften mit jüngeren Leuten zu schließen. Wenn es dann noch Erbstreitigkeiten mit den Kindern um „Omma ihr klein Häuschen“ oder derartiges gibt, oder die Kinder weiter weg leben, dann ist es mit der vielen Gesellschaft im Alter nicht mehr weit her, vor allem, wenn eine_n die Gebrechen einholen. Schlechte Augen, schlechte Ohren, kaputte Gelenke, Knochenbrüche, Gangunsicherheit dank Parkinson, Demenz, und andere Unappetitlichkeiten mehr.
Altwerden ist nichts für Feiglinge, wie mal Bette Davies sagte. Sie hatte recht.
Gelegentlich komme ich aus dem Laden nach Hause und denke, das will ich alles nicht, und hoffentlich bin ich insulinpflichtig, bevor ich geistig so daneben bin, dass andere mich nur noch bemitleiden. (Überdosis Insulin plus Schlafmittel, und tschüß, schöne Welt.) Nicht, dass ich es eilig hätte mit dem Ableben, aber da ist ein innerer Protest gegen diese Ungerechtigkeit, dass das Alter einer/m so die Würde nehmen kann, wenn mensch Pech hat.
Es war Dylan Thomas, der dazu aufrief, gegen das Sterben des Lichts zu wüten. „Rage, rage against the dying of the light.“ Nein, gegen den Verfall selbst kann ich nichts tun, aber ich kann dafür sorgen, dass ich mich nicht selbst aufs Altenteil abschiebe. Ich kann dafür sorgen, dass meine Gedanken nicht nur um mich und meine kleinen und großen Krankheiten kreisen, oder um das, was andere mir schulden. Ich will nicht in der Vergangenheit leben müssen, selbst wenn ich weiß, dass meine eigene Zukunft immer kürzer wird, und langfristige Pläne lächerlich sind.
Mein ganzes Geschreibsel ist ja zukunftsorientiert. Auch wenn ich jetzt furchtbar eingebildet klinge, ist dieser ganze Wust an Text ja auch dazu da, dass wer anders meine Gedanken nachvollziehen kann, und vielleicht hinterher mit sienen Mitmenschen besser zurechtkommt.
Was mir neben der Angst vor der Demenz am meisten zu schaffen macht ist, dass ich nicht sehen werde, wohin die Menschheit sich bewegt. Was wird aus der Genderdebatte? Terraforming auf dem Mars? Weltraumlift und Abbau von Helium-3 auf dem Mond? Wohin geht das Internet? Sind wir wirklich in hundert Jahren größtenteils Cyborgs? Kriegen wir irgendwann einen Fusionsreaktor? Ist da draußen noch eine Spezies, mit der mensch sich unterhalten kann?
Mit all diesen unbeantworteten Fragen werde ich meinen Frieden machen müssen. Noch bin ich davon weit entfernt, und wüte tatsächlich gegen das Sterben des Lichts.
Bleibt nur die Hoffnung, dass ich mich irgendwann einfinde, und mit Albus Dumbledore sagen kann: „To the well-organized mind, death is just the next great adventure.“
(Für einen wohlgeordneten Geist ist der Tod nur das nächste große Abenteuer.)
Bleiben wir also, in diesem Sinne, neugierig.
Und es ist auch mutig sich überhaupt mit der Thematik zu befassen – mich zum Beispiel lässt es immer ganz traurig und „verrückt“ werden…
Hmm. Die Erkenntnis, nur ein Staubkorn in Anbetracht der Ewigkeit zu sein, ist durchaus deprimierend. Was auch der Grund sein dürfte, weshalb sich außer dir noch keine_r geäußert hat. Bleibt nur, die Sache mit so viel Humor wie möglich zu nehmen und das Beste zu hoffen.
Wenn ich so auf die ganzen Gebrechen und Nebenwirkungen des Alt-werdens stoße, welche nicht nur in diesem Beitrag aufgelistet sind, sondern auch oft im Gespräch mit und über alte Leuten thematisiert werden, dann stellt sich mir die Frage, ob die gesellschaftliche und emotionale Bedeutung des Sterbens nicht langristig einen Wandel erfährt, der irgendwann dazu führt, dass man – wenn es denn soweit ist – ganz andere Gefühle damit assoziiert als man heute antizipiert.
Ich will da in erster Linie auf die Neigung vieler jüngerer Menschen rekurieren, von den heutigen Beobachtungen des Alters auf das eigene Altern zu schließen. Oder mit einem Beispiel formuliert: „Wenn die Leute heute im Alter senil und dement werden, dann habe ich Angst davor, wenn es bei mir soweit ist“.
Über die Zukunft nachzudenken ist in der Regel mehr oder weniger große Spekulation, da man nicht wissen kann was kommt. Sterben gehört dazu, genauso wie die Nebenwirkungen. Wie sterben wir? Und wann überhaupt? Die Medizin schiebt das Sterbealter von Generation zu Generation nach hinten und die technische Entwicklung müsste parallel dazu immer schneller voranschreiten, wenn man die These vertritt, dass das Entwicklungstempo der letzten Dekaden beibehalten wird. ich sehe da aber nicht nur die medizinische Entwicklung, sondern auch die sozialen Veränderung und in weiten Sinne auch die Bedeutungentwicklung von Sexualitäten.
Ich leite daraus ab, dass unser Verstand im Alter möglicherweise nicht mehr in einer Demenz ertrinken muss oder dass wir möglicherweise nicht mehr hilflos zusehen müssen, wie Tumore unsere Organe zerquetschen. Vielleicht können wir – wenn es dann soweit ist – mit 110 Jahren noch autonom einen eigenen Haushalt führen und lachen über das, wovor wir uns heute fürchten.
Ich leite daraus ab, dass sich die Gesellschaft infolge einer immer stärkeren Vernetzung so freigeistig werden könnte, dass heutige Tabus zu Selbstverständlichkeiten werden – so wie es die Entwicklung ja (wenn auch langsam) zeigt. Asexuelle artikulieren sich öffentlicher und finden dadurch besser zueinander – und dann reduziert sich auch das Problem der Einsamkeit im Alter.
…und ja, es kann auch alles ganz anders kommen. Neue Krankheiten, soziales Elend, die Folgen eines dritten Weltkrieges.
Was ich einfach sagen will: Wir wissen es nicht – und das Sterben kennen wir mit umso geringeren Lebensalter auch umso schlechter.
Normalerweise sorgt Unwissenheit wohl für fehlende Kontrollüberzeugungen und somit für ein inneres Unwohlsein – diese Unwissenheit um die Zukunft, sehe ich aber als Erleichterung, weil sie die heute zu beobachtenden Konsequenzen des Älterwerdens für das eigene Sterben infrage stellen. Zumindest so einige davon. Die Unwissenheit macht das Konzept „Sterben“ nicht so greifbar, sondern abstrakt und vor abstrakten Gefahren kann man sich glaube ich nicht so intensiv fürchten wie vor konkreten Bedrohungen.
Wow, das ist mal eine lange Antwort. Nachdem ich mich durchgekämpft habe 😉 muss ich insofern zustimmen, als dass mensch tatsächlich nicht in die Zukunft sehen kann, weshalb mein ganzes textliches Gebibbere wahrscheinlich größtenteils müßig war. Immerhin habe ich, vielleicht auch deswegen, einen Teil meiner diesherbstlichen Depri-Stimmung überwunden.
Und wer weiß, vielleicht holen die Cyborgs uns tatsächlich rechtzeitig ein… Wo doch die Borg schön passend sagen: Resistance is futile.
Dann hoff ich doch mal auf eine stabile Nicht-depri-Stimmung und auf einen baldigen neuen Blogeintrag 😀