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Gedanken zu Asexualität und LGBT *
von Fiammetta
In unserem Nachbarland Frankreich wird derzeit darüber verhandelt, ob die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden sollte (die seit 1999 bestehende Möglichkeit, einen Pacte Civil de Solidarité, kurz PACS einzugehen, stellt einen noch kümmerlicheren Ersatz als die eingetragene Lebenspartnerschaft in Deutschland dar). Rechte, konservative und christliche Gruppen haben in den vergangenen Wochen mit Demonstrationen gezeigt, dass sie von der Aussicht auf eine entsprechende Gesetzesänderung nicht begeistert sind; Befürworter der „Ehe für alle“ (mariage pour tous) reagierten mit Gegendemonstrationen. Das Thema beschäftigt im Sechseckland die Gemüter und sorgte auch in einem Thread im französischen AVEN-Forum für Diskussionen: Ein Forumsmitglied rief zur Teilnahme an einer Demonstration für das neue Gesetz auf, andere erklärten, gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu sein, das Gespräch kam auf Adoption und künstliche Befruchtung (nach dem neuen Gesetz soll für zwei Männer oder zwei Frauen ersteres möglich sein, letzteres jedoch nicht)… usw. usf.
Warum ich das erzähle? Ihr sollt es erfahren. Als ich die Diskussion im französischen Forum las, wunderte ich mich, dass sich da asexuelle Menschen gegen LGBT-Rechte aussprachen. Für mich ist das ein Widerspruch – aber offensichtlich nicht für jeden. Ich begann darüber nachzudenken, warum es für mich so selbstverständlich ist, stets auf der Seite von LGBT zu stehen, egal ob es nun um die Öffnung der Ehe in Europa oder um Entkriminalisierung in Afrika geht.
Die einleuchtendste Erklärung ist wohl die Tatsache, dass ich mich selbst jahrelang als lesbisch definiert habe. Als junges Mädchen sah ich meinen Platz klar unter dem sechsfarbigen Regenbogen und bezeichne mich noch heute als biromantisch, obwohl ich seit Jahren in keine Frau mehr verliebt war und nie eine Beziehung mit einer Frau hatte. Die Erinnerungen an das Herzklopfen, das gewisse Damen bei mir auslösen konnten, gehören zu mir und bewirken, dass ich mich einer französischen Aktivistin, die ihre Lebensgefährtin endlich heiraten möchte, oder einer aufgrund ihrer Orientierung von der Todesstrafe bedrohten Uganderin nahe und verwandt fühle.
Dann habe ich mehrere homosexuelle Freunde und Freundinnen. Als mein Lieblingskommilitone in einem thüringischen Schlösschen „ja“ zum Mann seines Herzens sagte, war ich ebenso freudig bewegt wie ein knappes Jahr später, als eine Schulfreundin in einer Potsdamer Kirche dem Vater ihres Sohnes ewige Treue schwor. Und Liebesglück und Liebesleid meiner lesbischen Freundinnen unterscheiden sich für mich in keiner Weise von dem, was meine restlichen Freundinnen mit Männern erleben.
Außerdem unterstütze ich seit vielen Jahren Amnesty International und LGBT-Rechte gehören zu den Menschenrechten. Als Argentinien die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnete, erfuhr ich dies aus dem Amnesty Journal und auch über Verfolgung und Diskriminierung von LGBT wird in diesem Blatt immer wieder berichtet.
Und ja, ich bin der Meinung, dass auch Asexuelle ihren Platz in der „Buchstabensuppe“ haben (ich halte CSDs u.Ä. für einen geeigneten Rahmen, um auf unsere Orientierung aufmerksam zu machen, aber das ist ein anderes Thema, auf das Carmilla schon vor vielen Monaten eingegangen ist). Queere Medien und Organisationen sind in der Vergangenheit mehrfach auf uns zugekommen – man denke nur an die Preziöse, auf deren erste Ausgabe ich sehr gespannt bin! – , was mich jedes Mal sehr gefreut hat. Für mein Gefühl sitzen wir als sexuelle Minderheiten alle im gleichen Boot und sollten einander respektieren und unterstützen.
Jedoch… Bin ich wirklich so eine gute ally** wie ich glaube oder wie ich sein möchte? Nachdem man L, G und B herausgefischt hat, ist der Suppentopf noch lange nicht leer! Ich muss gestehen, dass der Buchstabe T wie trans* für eine Zutat steht, die mir recht exotisch erscheint (allerdings bin ich dabei, mich mit dem Thema vertrauter zu machen). Und dann gibt es ja auf dem Gebiet der Geschlechtsidentität noch so viel mehr als cis und trans und hier fühle ich mich noch ziemlich verloren. Dass sich jemand z.B. vollkommen geschlechtslos fühlt, ist für mich so unendlich schwer vorstellbar und ich habe hier auch Probleme mit der Terminologie – ist neutrois, genderqueer und agender das gleiche oder gibt es da einen Unterschied? (Falls jemand dies liest, di_e_r es mir erklären kann, bitte ich darum). Manchmal habe ich mich schon gefragt, ob ich hoffnungslos altmodisch bin, weil ich, wenn ich um mich blicke, Männer und Frauen sehe. Das Geschlecht als nebensächlich zu betrachten will mir einfach nicht gelingen. Wie weiter oben erwähnt bezeichne ich mich als biromantisch und ab und zu habe ich mir schon die Frage gestellt, ob das nicht „überholt“ sei und man panromantisch sein „müsste“. Ich gestehe es: An manchen Tagen fühle ich mich von der queeren Welt, in der ich mich doch eigentlich so gern bewege, überfordert und verunsichert, manche Dinge verstehe ich nicht, mit anderen kann ich mich nicht identifizieren. Muss ich mich in die Ecke stellen und schämen?
Ein Trost war es mir, als eine lesbische Freundin mich vor ein paar Monaten fragte, was denn die Vorsilbe pan- bedeute; wenn ich dumm bin, bin ich damit zumindest nicht allein. Und dann helfen mir meine eigenen Verständnisschwierigkeiten und meine eigene Unsicherheit dabei, mich ein wenig in sexuelle Menschen zu versetzen, denen es schwer fällt, Asexualität zu verstehen. Nicht alle dumm klingenden Fragen sind böse gemeint und manch einer braucht einfach eine Weile, um sein Weltbild zu erweitern.
Vielleicht kann einfach nicht jeder alles begreifen – aber informieren kann man sich immer und ich finde, das sollte man auch tun.
Hier ein wenig Material:
(Größtenteils) deutschsprachiger YouTube-Kanal eines jungen Transmannes, von dem ich einiges über das T in LGBT gelernt habe: http://www.youtube.com/user/settingnoahfree
Infos zur möglichen Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in Frankreich (pro-Gleichheit, in französischer Sprache): http://lemariagepourtous.info
Internetseite von Queeramnesty, der Gruppe von Amnesty International Deutschland, die sich für LGBT-Rechte weltweit einsetzt: http://www.mersi-amnesty.de
* Ich verwende in diesem Artikel die weit verbreitete Abkürzung LGBT. In der Länge von LGBTQIAxxx verheddere ich mich und GSM (Gender and / or Sexuality Minority) ist für mich noch zu ungewohnt und neu.
** Anmerkung der Herausgeberin: ally = Allieerte_r, Verbündete_r. Spricht sich „ällai“
Also, hiermit nochmal vielen Dank für den Artikel, Fiammetta.
Da ich mich jahrelang für hetero hielt, habe ich wenig LGBT*-Menschen im Bekanntenkreis. Insofern bleibt es bei dem Versuch, mit den Infos auf dem Laufenden zu bleiben und den Mund aufzumachen, wenn ich blöde Kommentare höre. Das gelingt nicht immer, aber den Versuch ist es auf jeden Fall wert.
Hm, ich weiß gar nicht, ob die schwulen und lesbischen Freunde daher kommen, dass ich mich früher als homo gesehen habe… hat sich einfach so ergeben damals.
Mit den Sternchen sieht es übrigens viiieel besser aus, die „1“ hat mich wirklich verwirrt.
Hmm. Ich weiß, dass bei mir an der Schule in meiner Jahrgangsstufe keiner irgendwie geoutet war, obwohl wir nach Statistik mindestens eine Person außer mir hätten haben müssen, die ebenfalls nicht hetero war.
Und an der Uni sprangen zwar zwei offen schwule Typen rum, die waren aber eher Party-Volk, und ich nicht, insofern habe ich sie nur in der Vorlesung gesehen. Mag sein, dass da noch mehr waren, die sich aber aus irgendwelchen Gründen nicht an die Öffentlichkeit wagten. Immerhin habe ich im erzkatholischen Franken studiert.
An geoutete LGBT in der Schule kann ich mich auch nicht erinnern. Von einem Klassenkamerad aus der Grundschule habe ich Jahre später erfahren, dass er schwul ist, bei zwei älteren Mädels am Gymnasium vermute ich, dass sie damals ein Paar waren. An der Uni war es ganz anders, da wusste ich von mehreren, dass sie homo oder bi waren.
(Irgendwie macht es gerade mehr Spaß, diesbezüglich in meinen Erinnerungen zu wühlen, als zu arbeiten…)
Da die Pride-Saison auch in Frankreich anläuft, gibt es derzeit im frz. Forum wieder Diskussionen darüber, inwieweit Asexuelle in die LGBT-Bewegung passen, ob man an Paraden teilnehmen sollte etc. Einige Kommentare in den Threads sind erschreckend diskriminierend und dumm – mein bisheriger Favorit lautet: „Bisexuelle können doch gar nicht treu sein, außer sie treffen einen Hermaphroditen.“
Autsch, das ist echt böse – wobei das wahrscheinlich bei uns im deutschen Forum auch welche denken, aber nicht hinschreiben. Fragt sich, was besser ist.
Interessantes Thema.
Ich persönlich habe eine Abneigung gegen Homosexuelle, ABER ich habe eine Abneigung gegen ALLE sexuellen.
Da ich das ständigen rumgevögle immer ekelig finde, egal ob homo oder hetero, ist es egal…
Sollen sie doch wenn’s ihnen Spaß macht, aber bitte nicht in der Öffentlichkeit. Mein Vater sagt zum Thema „homo“ auch immer, „Ich muss ja auch nicht allen sagen, ich bin hetero“
Sexualität gehört in einen dunklen Raum, mit verhängtem Schlüsselloch, und WEHE wenn Kinder das sehen müssen…
Tja. Ich glaube nicht, dass wir uns einigen können.
Erstens: Wenn keine*r sagt, „ich bin nicht heterosexuell“, dann kommen wir als Gesellschaft nicht weiter mit der Akzeptanz, egal, ob’s um Schwule oder Asexuelle gibt.
Zweitens: Ich halte sehr wenig davon, irgendwelche Abneigungen gegen Personen zu hegen, die sich – genau wie ich – ihre Anlagen nicht aussuchen konnten.
Ich hege Abneigungen nur gegen Menschen, die sich als beratungsresistent erweisen bzw. wo sich im Gespräch herausstellt, dass diejenige Person nicht bereit ist, über meine Argumente nachzudenken.
Und das war’s dann in diesem Zusammenhange von meiner Seite. Du wirst verzeihen, wenn ich nicht den kompletten Kommentarspam deinerseits freigebe, denn dann müsste ich das alles beantworten, weil ich nicht damit einverstanden bin, und dafür habe ich derzeit keine Nerven.